Glückliche Gesichter

 

Volunteerbericht von

Sina Horvath

(30.10. – 30.11.2022)

 

Mein Heimatsland ist die Schweiz. Ich bin aufgewachsen umgeben von Einfamilienhäusern, schicken Autos, klar strukturierten Tagesabläufen und sehr guten sozialen Leistungen. Wohlbehütet in einer liebens-werten Familie, über ein stabiles Umfeld verfügend. Die Ausbildung zur Lehrperson habe ich erst vor kurzem abgeschlossen, durfte aber während meiner Ausbildung bereits einige Erfahrungen in Unterrichten von unterschiedlichen Klassen sammeln. Von den Kleinen bis zu den (beinahe) Großen. Mir bereitet das Unterrichten viel Freude, ich liebe den offenen Unterricht. Die Kinder lernen Verantwortung zu tragen und eigenständige Entscheidungen zu treffen.
 

             Mein Klassenzimmer in der Schweiz

Bereits im Februar 2022 durfte ich einen Einblick bei
Little Lambs in Hout Bay erhaschen. Der Alltag
schien mir hektisch und die Kinder voller Energie. All
jene, die Little Lambs oder allgemein Kinder
erleben, wissen nur zu gut, dass dies ihrer Natur
entspricht.
Von der Organisation und dem Kindergarten
angetan, hat mich die Neugierde gepackt und ich
bewarb mich im Sommer 2022 um einen
Volunteereinsatz bei Little Lambs. Elke Zwicker hat
mich dabei direkt unterstützt. Am 2. November
2022 kam ich erstmals in das Klassenzimmer der „Green Class“ bei „Teacher Nancy“, wie die Kinder mein Klassenzimmer in der Schweiz sie nannten.

 

Der Kindergarten „Little Lambs“

Der Kindergarten ist groß und wird mittlerweile von knapp 300 Kindern im Alter von 10 Monaten bis zu 6 Jahren besucht. Bei Little Lambs werden die Kinder auf die Grundschule vorbereitet. In jeder Klasse hat es
rund 30 Kinder. Die Zimmer sind teilweise sehr dunkel, weil sie nur wenige Fenster haben und diese häufig in den Innenhof ausgerichtet sind. Besonders dann, wenn wieder einmal „load shedding“ („Lastabwurf“) ist, der staatliche Stromkonzern den Strom rationiert, sitzen die Kinder im Dunkeln. Es ist schwierig unter diesen Umständen zu unterrichten. Der Kindergarten ist während fünf Tagen die Woche von 08:00 – 17:00 Uhr geöffnet. Die Kinder dürfen jedoch schon vorher eintrudeln, sobald die Eltern zur Arbeit müssen. Die Klassenzimmer teilen sich teilweise Toiletten, diese sind in einem guten Zustand. Der Pausenhof ist sehr grün und bietet viele Bewegungsmöglichkeiten für die Kinder.

Der ganz „normale“ Alltag

In den ersten Tagen versuchte ich mir einen Überblick zu verschaffen. Die Abläufe schienen sehr geregelt.
Ja, ich empfand es teilweise beinahe militärisch! Also ganz anders, als ich es aus den Schweizer Klassenzimmern kannte. Zuhause werden die Kinder zur Mündigkeit erzogen. Hier, so schien es mir, wurde den Kindern das Gegenteil beigebracht. Folgsamkeit und Ordnung scheint das oberste Gebot. Ich war schockiert und berichtete meinem Partner die Erkenntnisse. Kurzzeitig überlegte ich mir, ob ich diese Zustände überhaupt ertragen kann. Die Kinder gestaffelt auf die Toilette schicken, nur zu gewissen Zeiten…

            Geburtstagsfeier von Charles

Die Tage vergingen. Immer mehr gewann ich einen Überblick. Ich lernte die bunte Gruppe an Lehrpersonen kennen und freundete mich teilweise mit ihnen an, besonders mit Nancy. Immer öfter überließ sie mir einen Teil ihrer Arbeiten. Ich erhielt mehr Verantwortung in der Klasse, bis ich alleine vor ihnen stand. Die Lehrperson war nicht mehr im Klassenzimmer. Nur ich und die 30 (!) wilden kleinen Kinder der „Green Class“…
Es wurde laut, in dem Moment, in dem Nancy das Zimmer verließ. Ich bat höflich um Ruhe, vergebens. Ich versuchte es erneut: „Please children, be quiet so that we can continue our work!“…(„Bitte Kinder, seid leise, damit wir unsere Arbeit fortsetzen können!“) hoffnungslos. Die Kinder hatten keinen Respekt vor mir. In der Schweiz gewinne ich den Respekt der Kinder durch die Beziehung, die ich zu ihnen pflege und einen wertschätzenden Umgang. Sie kennen diesen Umgang von Zuhause. Die südafrikanische Kultur scheint hier etwas Anderes zu verlangen. „Teacher he hit me“, sagte eines der Kinder zu mir. Ich muss ehrlich sagen, ich war mit der Situation überfordert. Wie sollte ich den Respekt dieser Klasse gewinnen? Ich versuchte es erneut mit „Please“ („Bitte“) und „Could you“, („Könnt Ihr“) jedoch erfolglos.
Die Kinder sind sich diesen Umgang nicht gewohnt, sie wissen nicht, was sie mit diesen Aussagen anfangen sollen. Ich war gezwungen einen anderen Weg zu wählen. Ich entschied mich dazu, entgegen meiner Prinzipien und Werten, hart durch zu greifen. Die Kinder müssen mich respektieren, mir zuhören, ansonsten ist es mir nicht möglich ihnen etwas beizubringen und sie zu unterrichten, egal wie gut ich es mit ihnen meine. Es fiel mir sehr schwer. „If you don’t listen you have to sit in the corner” („Wer nicht zuhört, muss in der Ecke sitzen“). Ich ergriff aus meiner Sicht veraltetet und überholte Maßnahmen, um wieder Überhand zu bekommen. Es funktionierte tatsächlich. Weiterhin verfolgte ich die strengen und klaren Prinzipien und den Kindern wurde bewusst, dass sie mit mir nicht spielen können und dürfen. Durch den gewonnenen Respekt konnte ich sie unterrichten und ihnen einige wertvolle Dinge mit auf ihren weiteren Lebensweg geben. Im Nachhinein kann ich über diese Erlebnisse lachen, aber in den ersten Momenten war es schon etwas unangenehm und völlig neu für mich.
Wir studierten gemeinsam einen ganzen Liedtext ein, lernten einen dazu passenden Tanz auswendig und
bereiteten uns intensiv auf die „Graduation“ der Kinder vor. Der Übertritt in einen neuen Lebensabschnitt
stand an. Nach den Sommerferien werden sie die 1. Klasse in der Primarschule besuchen. Der Übertritt
wird im Vorhinein durch eine Bewerbung mit einem anschließenden Bewerbungsgespräch geregelt. Dabei müssen die Eltern gemeinsam mit ihren Kindern die jeweiligen Primarschulen besuchen und die Eignungsprüfungen unter Beobachtung des Rektors absolvieren. Auch dieser Umstand schockiert mich.
Kinder müssen mit rund 6 Jahren um einen Platz an einer Schule kämpfen? Die Eltern müssen sich aktiv
darum bemühen? Diesen Ablauf kenne ich nicht. In der Schweiz erfolgt dies automatisch und alle Primarschulen und vor allem alle Kinder sind gleichgestellt. In Südafrika gibt es riesige Unterschiede. Privatschulen sind zwar teuer, ermöglichen den Kindern aus den Townships aber eine Zukunft mit Zugang zu guter Bildung. Die staatlichen Schulen sind in der Gesellschaft wenig angesehen. Was passiert mit den Kindern, die von den Eltern nicht unterstützt werden? Oder noch schlimmer, keinen gültigen Pass besitzen? Einige der Kinder stammen aus Malawi oder Simbabwe und verfügen lediglich über eine befristete Aufenthaltsbewilligung.   Sie sind gezwungen in ihren Ferien in ihr Heimatland zurückzukehren, um anschließend darauf zu hoffen, dass ihre Aufenthaltsbewilligung bei der Wiedereinreise nach Südafrika verlängert wird. Nancy hat mir erzählt, dass sie einige ihrer Schüler nach den Sommerferien nie mehr wiedersieht, weil sie keine weiteren Bewilligungen erhalten haben und ihnen das Geld für einen Pass fehlt.

Basteln für Weihnachten
Basteln für Weihnachten

 

                                 

 

„Graduation“

Die „Graduation“ stand bevor. Ich konnte mich mittlerweile mit den Lehrpersonen anfreunden und hatte
mich gut im Team integriert. Die Arbeit bereitet mir große Freude und ich hatte das Gefühl, dass auch die Kinder davon profitieren konnten.

                                                                   Schöne Impressionen zum Abschluss

 

Die Kinder hatten einen wundervollen Auftritt und die Eltern waren sehr stolz. Auch ich war zu Tränen gerührt. Die „Graduation“ war gleichzeitig mein Abschied, weshalb nebst der unendlichen Freude, die ich empfand, auch etwas Wehmut mitschwang.

 

Rückblickend war es eine der eindrücklichsten Erfahrungen, die ich in meinem bisherigen Leben je machen durfte. Ich konnte vieles dazu lernen und werde einige Dinge mit in die Schweiz nehmen. Die Leichtigkeit und Lebensfreude, die die Kinder, trotz ihren widrigen Lebensbedingungen in sich tragen, ist unermesslich und viele Menschen mit westlichem Denken können sich ein Stück davon abschneiden!
                                                                                                                     Bericht: Sina Horvath, 21.02.2023